Brunnenstadt Bern
Das unvergleichlich schöne Bild der mittelalterlichen Strassen Berns wäre unvollständig ohne die ebenfalls aus dem Mittelalter stammenden Brunnen, deren farbige Figuren und Säulenschäfte das Grau der lang gestreckten Häuserfronten auf das schönste beleben.
Ob Brunnen, Zisternen, der unterirdische Stadtbach oder die Aare – Wasser ist in Bern allgegenwärtig. 217 öffentliche Brunnen zieren das Bild der UNESCO-gekürten Berner Altstadt.
Nebst dem dekorativen Charakter und ihren spannenden Geschichten haben die Brunnen in Bern natürlich auch eine praktische Funktion. Das kühle Nass, das aus ihren Hähnen strömt, ist Trinkwasser und steht allen kostenlos zur Verfügung. Ausserdem vereinte der praktische Sinn der Bernerinnen und Berner schon immer das Nützliche mit dem Ästhetischen: Einige der Brunnen sind mitten auf verkehrsreichen Strassen platziert, was sie – wie ganz treffend gesagt wird – zu den charmantesten Verkehrshindernissen der Welt macht.
Die Geschichte der Berner Wasserversorgung reicht zurück ins Mittelalter: Bereits im 13. Jahrhundert existierten in der Zähringer Stadt zahlreiche Wasserstellen. Die Zulieferung des Wassers erfolgte über den unterirdischen Stadtbach, Quell- und Sodbrunnen sowie vermutlich über Zisternen. Die Hauptwasserader, der Stadtbach, diente als Kanalisation, transportierte Löschwasser und verband – und verbindet auch heute noch – teils sichtbar, teils in den Tiefen verborgen, die Berner Brunnen. Um 1550 ersetzte die Stadt viele der bis dahin hölzernen Brunnen mit kunstvollen Exemplaren aus Stein.
Berner Brunnen – Mittelpunkt des Lebens
Früher spielte der öffentliche Brunnen im täglichen Treiben der Stadt eine grosse Rolle. Nebst der Wasserversorgung hatte er auch eine wichtige soziale Aufgabe inne.
Als Ort der Begegnung wurde am Brunnenrand geschwatzt, Neuigkeiten ausgetauscht, Streitereien beschwichtigt, politische Themen diskutiert oder Abmachungen ausgehandelt. Frauen und Dienstmägde holten in grossen Kupfergefässen das Wasser für den Haushalt, Wasserträger füllten die «Brente» und brachten sie gegen ein kleines Entgelt in die Häuser und Fuhrleute tränkten ihre Pferde. Das jeweils untere, kleinere Brunnbecken wurde eigens für die Tiere erbaut und erinnert noch heute an die Zeit, als Kühe und Pferde durch Berns Gassen geführt wurden.
Lenbrunnen
Der Umbau der Staatskanzlei an der Postgasse 68/70 im Jahr 1992 brachte eine wichtige archäologische Stätte zutage: Die turmartige Zisternenanlage im Untergeschoss des Gebäudes – der Lenbrunnen – ist das älteste erhaltene Baudenkmal der Bundesstadt.
In der Brunnenkammer des einst dreistöckigen Baus schöpfte die Bevölkerung einst sicheres und sauberes Trinkwasser. Mit einem Fassungsvermögen von 15’000 Litern versorgte der Lenbrunnen im Mittelalter die gesamte 3’000-köpfige Stadtbevölkerung – mit einem Tagesverbrauch von 3 bis 5 Litern pro Person war dies damals möglich. Dank aufwändiger Restauration ist der Zisternenbrunnen heute im Rahmen einer Stadtführung für die Öffentlichkeit zugänglich. Vor Ort informieren Tafeln und ein nachgebautes Modell über die Geschichte des Brunnens.
Allegorische Figurenbrunnen – oder von Justitia und dem «Kindlifresser»
Die elf historischen Figurenbrunnen Berns sind ein Blickfang. Ob in Gedenken an Helden, historische Ereignisse oder gesellschaftliche Wertvorstellungen: Jeder Brunnen hat seine eigene Geschichte und eine spezielle Bedeutung. Gemeinsam ist den meisten aber der Urheber. Acht der elf Brunnenfiguren wurden nämlich vom Freiburger Bildhauer Hans Gieng geschaffen, der offenbar in den 1540er Jahren in Bern lebte und arbeitete. Die Brunnen bestehen noch heute in ihrer ursprünglichen Form und sind prächtige Exemplare der Renaissance-Kunst. Deren Gestaltung und die prunkvollen Figuren sind Sinnbild für den Wohlstand des damaligen Bürgertums.
Kindlifresserbrunnen (Kornhausplatz)
Auf einer Säule thronend sitzt der angsteinflössende «Kindlifresser». Einige hilflose, halbnackte Kinder stecken in einem Sack neben ihm, andere krabbeln auf dem angsteinflössenden Mann herum und versuchen wohl, dem Kerl zu entkommen. Dass mit ihm nicht zu spassen ist, verraten sein wollüstiger Blick und der weit aufgerissene Mund. Denn darin verschwindet gerade ein Kindlein. Zur Bedeutung dieses Brunnens existieren verschiedene Theorien: Die wohl plausibelste lautet, dass der Brunnen eine erzieherische Massnahme darstellt und die Schreckensfigur den Kindern Angst einjagen soll, um sie des guten Benehmens zu lehren.
Gerechtigkeitsbrunnen (Gerechtigkeitsgasse)
Anmutig und schön steht Justitia – Personifizierung der Gerechtigkeit – mit verbundenen Augen auf ihrem Sockel. In der rechten Hand hält sie das erhobene Richtschwert, links baumelt eine Waage mit goldenen Schalen. Zu Justitias Füssen sind ein Papst, Kaiser, König und Sultan; durch ihre geschlossenen Augen bezeugen die weltlichen Herrscher ihre Ehrfurcht vor der Gerechtigkeit. Doch so graziös war es um die Statue nicht immer bestellt. Als nämlich die französische Armee unter Napoleon in Bern einmarschierte, erlaubten sich die Soldaten einen Jux: Sie raubten der schönen Justitia kurzerhand ihre charakteristische Ausrüstung – das Schwert und die Waage
Mosesbrunnen (Münsterplatz)
Ganz gemäss seinem biblischen Vorbild hat der Mosesbrunnen am Münsterplatz einen langen Weg hinter sich: Nachdem sein Vorgänger wegen defekten Füssen, zerschlagenen Gesetzestafeln und totaler Verwitterung entfernt werden musste, ersetzte vorerst eine Fontänenanlage den Figurenbrunnen am Münsterplatz. Die Moses-Statue gelangte in Privatbesitz und schmückte ein Gartenhäuschen, später den Antiquitätensaal der ehemaligen Antonierkirche. Im Jahre 1791 wurde der Springbrunnen schliesslich mit dem heutigen Exemplar ersetzt. Die Statue des Bildhauers Nikolaus Sporrer aus Konstanz stellt Moses in einem langen blau-goldenen Gewand dar. Mit seiner rechten Hand weist er auf das zweite Gebot seiner Gesetzestafeln.
Vennerbrunnen (Rathausplatz)
Der Berner Bannerträger (Venner) steht stolz und in voller Montur auf der korinthischen Säule. Die Fahne in seiner Rechten ist jedoch dem Übermut der Franzosen zum Opfer gefallen: Nach dem Einmarsch der «Grande Armée» im Jahre 1798 riss ein Soldat das Fahnenblech herunter. Die Figur des Künstlers Hans Gieng war solch einer groben Behandlung nicht gewachsen und der linke Unterarm des Venners brach ab. Lange Zeit schien das keinen zu stören, denn niemand kümmerte sich um Ersatz. So sind aus dieser Zeit Aufzeichnungen zu finden, auf denen sich der geharnischte Mann anstelle des Schwertes auf einem Stock abstützt. Heute blickt die restaurierte Vennerfigur nach diversen Standortwechseln anmutig über den Rathausplatz.
Zähringerbrunnen (Kramgasse, oberer Teil)
Nahe beim geschichtsträchtigen Zytglogge (Zeitglockenturm) und zuoberst an der Kramgasse überblickt ein aufrechtstehender Bär die Strasse. Zu seinen Füssen sitzt ein Trauben verschlingendes Junges. Das Berner Wappentier erinnert an seine Gründer, die Zähringer. Der Kopf des grossen Bären steckt in einem goldenen Helm, in seinen Pranken hält er einerseits eine Flagge und andererseits einen Schild. Beide dieser Accessoires tragen das gleiche Sujet: Der goldene Löwe auf rotem Hintergrund.
Simsonbrunnen (Kramgasse, mittlerer Teil)
Die Brunnenfigur zeigt den biblischen Helden Simson in römischem Gewand. Die Statue verkörpert ein beliebtes Sinnbild der Renaissance: die Kraft. Mit blossen Händen greift der starke Mann einem Löwen an den Mund und will diesen zerreissen. An seinem Gürtel sind Waffe und Metzgerbesteck befestigt. Letzteres Detail lässt vermuten, dass der Brunnen von der Metzgerzunft gestiftet wurde. So ist es nicht verwunderlich, dass der Brunnen seit 1687 auch «Metzgernbrunnen» hiess und seinen heutigen Namen erst knapp 150 Jahre später erhielt.
Läuferbrunnen (Läuferplatz)
In den Farben der Stadt gekleidet und mit dem Berner Wappen auf der Brust schreitet der stolze «Läufer» stadtauswärts. Kennzeichnend für den mittelalterlichen Boten sind die Utensilien, die er bei sich trägt: In der rechten Hand hält er einen Läuferspiess und am Rücken hängt die sogenannte Läuferbüchse. Ob sich im Behälter ein wichtiger Brief befindet? Nahe bei ihm geht ein junger Bär, auch er als Bote gekleidet. Übrigens: Die Figur, die heute auf dem Brunnen am Läuferplatz steht, ist eine Kopie aus den 1950er Jahren. Das Original kann im Bernischen Historischen Museum betrachtet werden.
Schützenbrunnen (Marktgasse)
Nach mehreren Standortwechseln hat der Schützenbrunnen nun endgültig seinen Platz gefunden. Auf einer reich verzierten Säule vor dem Zytglogge (Zeitglockenturm) steht der geharnischte «Schützenvenner» (Bannerträger der Schützen). Vermutlich stiftete die Schützengesellschaft den Brunnen, denn auf der Fahne, die der Mann in der Rüstung aufhält, ist das Banner der «Gesellschaft zu Schützen» abgebildet. Zwischen den Beinen der Figur sitzt ein kleiner Bär. Dieser zielt keck mit seiner Büchse auf die Passanten, die unter den Lauben (Arkaden) der Unteren Altstadt spazieren. An seinem früheren Standort zielte der Gewehrlauf direkt auf den Hauseingang der Schützengesellschaft.
Anna-Seiler-Brunnen (Marktgasse)
Ob die Frauengestalt mit Krug ein Sinnbild für Mässigung darstellt oder gar die Jugendgöttin Hebe verkörpert, ist unklar. Heute erinnert der Brunnen an Anna Seiler, die im Jahre 1354 der Stadt Bern ein Hospital – später das Inselspital genannt – stiftete. Übrigens: Offenbar sollen sich am Brunnenrand die Eltern des berühmten Schweizer Malers Ferdinand Hodler kennengelernt haben.
Ryfflibrunnen (Aarbergergasse)
Die Figur des Armbrustschützen in der Aarbergergasse ist sagenumwoben. Der Soldat soll den Schützen Ryffli darstellen, der Überlieferungen zufolge mit einem einzigen gezielten Schuss Ritter Jordan III. von Burgistein bezwungen haben soll. Die Statue des Schützens ist mit diversen Kriegsattributen versehen: Nebst der Tracht eines Hauptmannes trägt Ryffli seine Armbrust über der Schulter, den Köcher auf dem Rücken und einen Bolzen welcher auf die Waffe gespannt wird. Begleitet wird er von einem kleinen bewaffneten Bären.
Pfeiferbrunnen (Spitalgasse)
Mit dem Kindlifresserbrunnen gehört der Pfeiferbrunnen zu den originellsten Exemplaren der Bundesstadt. Fröhlich auf einem Dudelsack musizierend, begleitet von einer goldenen Gans und einem Flagolett spielenden Äffchen, verbreitet der Musikant Freude und Leichtigkeit. Die muntere Gefolgschaft ist ein Abbild des frohen Lebens, das Musik, Spiel, Tanz und gutes Essen zelebriert. Als Vorlage für die Brunnenfigur diente ein Kupferstich des Renaissance-Künstlers Albrecht Dürer.